Gestresst, Verwaist und Eingesperrt
Tagungsbericht des 7. Rotwildsymposiums zum Thema „Jagdethik“
Vom 25. bis 28. September 2014 fand das 7. Rotwildsymposium der Deutschen Wildtier Stiftung in Warnemünde statt. Unter den knapp 200 Teilnehmern befanden sich namhafte Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft, Forstverwaltung, Naturschutzverbänden und Medien.
Das 7. Rotwildsymposium wurde gefördert durch die Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern und das Land Mecklenburg-Vorpommern.
Auf ihrem 7. Rotwildsymposium hat die Deutsche Wildtier Stiftung die Jagdethik auf die Agenda gesetzt. Gleich im ersten Themenblock wurde dabei die Frage nach der „Gleichheit“ von Wildtieren gestellt. Denn mit Blick auf den ethischen Umgang mit unseren Wildtieren wird in Deutschland mit unterschiedlichem Maß gemessen: Während sich Wolf und Biber überall im Land ansiedeln dürfen, wird vor allem in den südlichen Bundesländern die Ausbreitung des Rotwildes gesetzlich verboten. Und während der Abschuss von Reh- und Rotwild zur Sicherung der land- und forstwirtschaftlichen Erträge selbstverständlich ist, wird die Jagd auf häufige Beutegreifer als Beitrag zum Artenschutz überwiegend kritisch gesehen. In einem zweiten Themenblock wurden die praktischen Aspekte der Jagdethik und des Tier- und Artenschutzes beleuchtet. Themen waren dabei u.a. der Muttertierschutz, das Nachsuchenwesen oder die Weiterbildung der Jäger.
Erinnerung an Haymo G. Rethwisch
Wie zuvor Prof. Dr. Fritz Vahrenholt, Alleinvorstand der Deutschen Wildtier Stiftung, erinnerte der Schirmherr des Symposiums, Landwirtschaftsminister Dr. Till Backhaus, in seinem Grußwort an Haymo G. Rethwisch, den Stifter der Deutschen Wildtier Stiftung, der im Februar 2014 überraschend verstorben ist. Rethwisch war nicht nur Initiator und Ideengeber der Rotwildsymposien seiner Stiftung, sondern bis zuletzt Verfechter einer anständigen Jagdpraxis und einer gelebten Jagdethik. Backhaus unterstrich, dass die Wahrnehmung der Jägerschaft in der Öffentlichkeit, das Verhalten der Jäger untereinander und die Verantwortung des Jägers gegenüber der Schöpfung die wichtigsten Merkmale eines anständigen Jägers sind. Auch das verlesene Grußwort von Claus R. Agte, Vorsitzender und Stifter der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern, hob die Persönlichkeit von Haymo G. Rethwisch und sein Vermächtnis für die Deutsche Wildtier Stiftung hervor. In seinem Einführungsvortrag zog Dr. Florian Asche, Vorstandsmitglied der Stiftung Wald und Wild in M-V, Parallelen zwischen George Orwells Novelle „Farm der Tiere“ aus dem Jahr 1945 und dem heutigen Umgang mit großen Wildtieren. „Alle Tiere sind gleich. …aber einige Tiere sind gleicher.“ Das Grundgesetz in der Schreckensherrschaft der Schweine auf Orwells Farm der Tiere findet sich in der häufigen Ungleichbehandlung großer Wildtiere in der heutigen Zeit wieder. Asche begründet diese Ungleichbehandlung durch eine Projektion: Geschlagen wird das Wildtier – gemeint ist der Jäger. Er fordert eine strikte Trennung von Wissenschaft und projektiven Emotionen in der Gesetzgebung. Konrad Ott, Professor für Philosophie und Ethik der Umwelt an der Universität Kiel, stellte in seinem Grundlagenvortrag zur jagdlichen Ethik besonders zwei Aspekte in den Mittelpunkt: die Entkommenschance auf der einen und die leidfreie, sichere Jagd auf der anderen Seite. Diese Aspekte seien kein Widerspruch sondern können, miteinander verknüpft, Ausdruck des Respekts vor dem zu jagenden Tier und einer gelebten Jagdethik sein. Sven Herzog, Professor an der Dozentur für Wildökologie und Jagdwirtschaft an der TU Dresden, thematisierte in seinem Vortrag über ethischen Prinzipien bei der Jagd die Rolle der Wildtiere in der Menschheitsgeschichte. Er diskutierte die Jagd im Zusammenhang zur ökologischen, ökonomischen und sozio-kulturellen Nachhaltigkeit und die Jagdethik im Kontext zum Tier-, Arten- und Lebensraumschutz.
Die Doppelmoral im Umgang mit Wildtieren
Der Doppelmoral im Umgang mit großen Wildtieren wurde auf dem 7. Rotwildsymposium von gleich drei Referenten der Spiegel vorgehalten. Dr. Janosch Arnold vom WWF Deutschland beschäftigte sich mit der Ausbreitung großer Wildtierarten und stellte Tierarten des Naturschutzes, z.B. den Wolf, Tierarten der Jagd, z.B. dem Rothirsch, gegenüber. Arnold kritisierte, dass Wildtiere politisch und gesellschaftlich instrumentalisiert werden und forderte eine wissensbasierte und lösungsorientierte Diskussion um die Ausbreitung großer Wildtiere. Dr. Thomas Gehle, Jagdwissenschaftler und Wildbiologe aus NRW, hält die Jagd auf häufige Beutegreifer für ebenso gerechtfertigt wie die Jagd auf Schalenwild. Dabei kommt es nicht auf das „Ob“ sondern vielmehr auf das „Wie“ der Tötung von Wildtieren an. Gregor Beyer, Mitglied des Brandenburgischen Landtages, plädierte beim Thema „Fütterung“ für eine aus den Bedürfnissen der Wildtiere heraus geführte Diskussion, die nicht von Lobbyinteressen überlagert wird. Der Nachmittag des ersten Tagungstages widmete sich den ethischen Prinzipien in der Jagdpraxis. Mit dem Thema „Muttertierschutz“ nahm sich Dr. Helmuth Wölfel einem wesentlichen Prinzip der Jagdethik an und unterstrich die unbedingte Führungsnotwendigkeit eines Rotwild-Kalbes durch das Alttier bis zum Alter von etwa 1,5 Jahren. Mads Flinterup vom Dänischen Schweisshund-Register stellte das Nachsuchenwesen in Dänemark vor, das viel strenger behördlich organisiert und kontrolliert wird als in Deutschland. Dr. Andreas Kinser von der Deutschen Wildtier Stiftung zeigte in seinem Vortrag, dass auch das Ermöglichen natürlicher Verhaltensweisen wie z.B. eines ausgeprägten Tagesrhythmus oder die Rudel-Bildung, sowie die Bereitstellung eines natürlichen Nahrungsangebotes ein Gebot der Jagdethik ist. Heiko Hornung vom Paul Parey Verlag verwies zum Abschluss des zweiten Themenblockes auf die dringende Notwendigkeit für Weiterbildung und Training der Jägerschaft. Ein festliches Abendessen mit Wildgerichten aus der Region in der Bootshalle und ein angeregter Meinungsaustausch zu späterer Stunde an der Bar der Yachthafenresidenz Hohe Düne bildeten den Ausklang des ersten Veranstaltungstages des 7. Rotwildsymposiums der Deutschen Wildtier Stiftung.
Empfehlungen zur Jagdethik
Der Vormittag des zweiten Veranstaltungstages wurde für eine Positionsfindung mit Empfehlungen zur Jagdethik an Politik und Praxis genutzt. In ihren Impulsreferaten gaben Dr. Dieter Deuschle vom Landesjagdverband Baden-Württemberg und Professor Friedrich Reimoser von der Veterinärmedizinischen Universität Wien Denkanstöße für einen fairen Umgang mit Wildtieren und für eine zukunftsfähige Jagd. Beide Referenten unterstrichen in dem Zusammenhang u.a. die Notwendigkeit der freien Ortswahl von Wildtierpopulationen, der Reduzierung von Wildarten mit hoher Dichte, der Rücksichtnahme auf die überlebende Population, der wildbiologischen Forschung und des Wissenstransfers und partizipativer Prozesse bei der Lösung von Konflikten. Die Impulsreferate und die anschließende Diskussion nutzte die Deutsche Wildtier Stiftung, um ein Grundsatzpapier zur Jagdethik zu formulieren. Der Entwurf des „Ostsee-Papier“ zum ethischen Umgang mit unseren großen Wildtieren in Politik und Jagd wurde noch am Vormittag vom Veranstalter durch Hilmar Freiherr v. Münchhausen vorgestellt und mit den Teilnehmern des 7. Rotwildsymposiums diskutiert. Das „Ostsee-Papier“ zum ethischen Umgang mit unseren großen Wildtieren in Politik und Jagd finden Sie hier. Den Abschluss des 7. Rotwildsymposiums bildeten Exkursionen in den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft und in die Rostocker Heide. In einem Einführungsvortrag hatte zuvor Matthias Neumann vom Thünen-Institut für Waldökosysteme Ergebnisse einer Rotwild-Telemetriestudie aus dem Gebiet des Darß und Zingst vorgestellt und die Teilnehmer mit eindrucksvollen Bildern von Rotwild vor Ostsee-Kulisse auf die Exkursionsziele eingestimmt. Tatsächlich boten die Buchhorster Maase, der Darßer Ort und die Beobachtungsplattform Bisdorf reichlich Anblick von Rotwild und Kranichen und eindrucksvolle Naturerlebnisse. Die parallel mit Unterstützung durch die Landesforstanstalt M – V und das Stadtforstamt Rostock organisierte Exkursion in die Rostocker Heide bot Einblicke in die Rotwildbewirtschaftung durch das Stadtforstamt und nicht zuletzt ebenfalls den Anblick von brunftendem Rotwild in einer abwechslungsreichen Moorlandschaft. Die zahlreichen Teilnehmer des letzten Programmpunktes des 7. Rotwildsymposiums der Deutschen Wildtier Stiftung, der Exkursion zur Rotwildbrunft in den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft am frühen Sonntagmorgen, wurden für ihr frühes Aufstehen mehr als entschädigt: Sie erlebten bei herrlichem Wetter eine intensive Rotwildbrunft auf der Buchhorster Maase und am Darßer Ort.
Downloads
Ostsee-Papier zur Jagdethik als Abschlussdokument des 7. Rotwildsymposiums Programm des 7. Rotwildsymposiums
Tagungsband „Gestresst, Verwaist und Eingesperrt“
Ethik und Moral unterscheiden den menschlichen Jäger vom tierischen Fressfeind. Um den ethischen und moralischen Ansprüchen unserer Gesellschaft gerecht zu werden, müssen die Jäger und der Gesetzgeber ihre Verantwortung für das Wohlbefinden der Wildtiere gegen ihre Handlungsmotive abwägen. Doch die Messlatte für „gutes“ Handeln wird in Deutschland je nach Wildtier unterschiedlich angesetzt. Wie wäre es sonst möglich, dass die Ausbreitung von Wolf und Biber begrüßt, die des Rothirsches aber vor allem in den südlichen Bundesländern verboten wird? Und wieso glauben wir, Igel füttern zu müssen, Rothirsche jedoch nicht? Das 7. Rotwildsymposium der Deutschen Wildtier Stiftung stellte die Frage nach der Gleichheit der Wildtiere. Die in dem Tagungsband „Gestress, Verwais und Eingesperrt“ zusammengestellten Beiträge schlagen einen Bogen über die verschiedenen Facetten eines ethischen und moralischen Umgangs mit unseren großen Wildtieren und beleuchten die jagdpraktischen Aspekte des Tier- und Artenschutzes, die „richtiges“ oder „gutes“ Handeln ausmachen. Themen sind dabei u.a. der Muttertierschutz, das Nachsuchenwesen oder die natürlichen Verhaltensweisen des Rotwildes.
Den Tagungsband „Gestress, Verwais und Eingesperrt“ erhalten Sie für eine Schutzgebühr in Höhe von 14,90 € inkl. Versandkosten unter Tel. 040 9707869-0 oder über unser Bestellformular.
Inhalt
Das „Ostee-Papier“ zum ethischen Umgang mit unseren großen Wildtieren in Politik und Jagd
Grußworte
Prof. Dr. Fritz Vahrenholt (Alleinvorstand der Deutschen Wildtier Stiftung)
Claus Robert Agte (Stifter und Vorsitzender der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern)
Dr. Till Backhaus (Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern)
Deutschland – Deine Farm der Tiere
Zum psychischen Phänomen der Projektion im Naturschutz (Florian ASCHE)
Hirsch und Jäger zwischen Ethik und Moral
Jagd aus naturethischer Sicht (Konrad OTT/ Christian-Albrechts-Universität zu Kiel)
Vom Prädator zum Jäger – ethische Prinzipien bei der Jagd (Sven HERZOG/ Technische Universität Dresden)
Die Doppelmoral im Umgang mit großen Wildtieren
Die Ausbreitung großer Wildtierarten: grenzenlos und eingesperrt (Janosch ARNOLD/ WWF Deutschland)
Jagdschutz versus Forstschutz – sind Bäume wertvoller als Tiere? (Thomas GEHLE)
Füttern in der Not? Spatz ja – Hirsch nein? (Gregor BEYER, MdL a. D.)
Ethische Prinzipien in der Jagdpraxis
Wieviel Alttier braucht das Kalb? Zum Muttertierschutz beim Rotwild (Helmuth WÖLFEL)
Vermeidung von Schmerzen: das behördliche Nachsuchenwesen in Dänemark (Mads FLINTERUP/ Dänisches Schweisshund-Register)
Ermöglichen natürlicher Verhaltensweisen – wanderndes und tagvertrautes Rotwild (Andreas KINSER & Hilmar Freiherr v. MÜNCHHAUSEN/ Deutsche Wildtier Stiftung)
Wissen und Training: Basis für ein verantwortungsvolles Jagdhandwerk (Heiko HORNUNG/ Redaktion WILD UND HUND)
Empfehlungen an Politik und Praxis
Wider die Doppelmoral beim Umgang mit Wildtieren: Empfehlungen an die Politik (Dieter DEUSCHLE/ LJV Baden-Württemberg)
Kriterien für eine zukunftsfähige Jagd: Empfehlungen an die Praxis (Friedrich REIMOSER/ Universität für Bodenkultur Wien)
Einführung in die Exkursionsziele
Lebensraumnutzung des Rotwildes in Mecklenburg-Vorpommern am Beispiel des Darss/Zingst (Matthias NEUMANN & Frank TOTTEWITZ/ Thünen-Institut für Waldökosysteme)
Posterpräsentationen
Beeinflussung des Raum-Zeit-Verhaltens von Rotwild (Cervus elaphus) durch großräumige Beweidungsprojekte auf ausgewählten DBU-Naturerbeflächen – eine Projektvorstellung (Siegfried RIEGER et al./ Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde)
Vergleichende Analyse verschiedener Methoden zur Erfassung von freilebenden Huftieren (Reinhild GRÄBER et al./ Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung)
Wildschwerpunktgebiete in Mecklenburg-Vorpommern (Matthias NEUMANN/ Thünen-Institut für Waldökosysteme)
Untersuchung der Knochenmarkfettgehalte von Rot- und Rehwild in Niedersachsen (Jan WAGNER et al./ Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung)