Projektträger
Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft RLP
Laufzeit
seit 2017 andauernd
Das Projekt
Zur nachhaltigen Regulierung und Strukturierung eines Rotwildbestandes ist der ausreichende Anteil von Zuwachs generierenden Alttieren am Abschuss von entscheidender Bedeutung. Dennoch gilt es bei der Bejagung auf den herbstlichen Bewegungsjagden besonders umsichtig zu agieren. Die Begegnungszeit mit dem Wild ist meist nur kurz und die Entscheidung zum Schuss muss schnell getroffen werden. Alttiere dürfen jedoch nur erlegt werden, wenn diese kein Jungtier (sog. Kalb) mehr führen. Um das irrtümliche Erlegen eines führenden Tieres möglichst auszuschließen, wurden zur Orientierung der Jägerinnen und Jäger in der Jagdpraxis Leitsätze erarbeitet und in der bereits erwähnten gemeinsamen Empfehlung bekannt gegeben. Trennt sich jedoch in einer Stresssituation das Kalb von der Mutter, könnten Jägerinnen und Jäger ein einzelnes Muttertier fälschlicherweise als nicht mehr führend ansprechen und erlegen. Dies ist tierschutzrechtlich abzulehnen und hätte rechtliche Konsequenzen.
Im Rahmen des Pilotprojektes ist beabsichtigt, das Bindungsverhalten von Muttertier und Kalb auf wissenschaftlicher Basis durch Einsatz moderner Technik zu erforschen. Mit Hilfe von GPS-Peilsendern soll das Raum- und Fluchtverhalten von Muttertier und Kalb erkundet werden. Dabei ist es erforderlich, das Muttertier und das dazugehörige Kalb vor Beginn der Bewegungsjagdsaison zu besendern. Im Rahmen einer Pilotstudie durch die Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft (FAWF) soll zunächst geklärt werden, ob dies mit vertretbarem Aufwand überhaupt gelingt. Danach stellt sich die kniffelige, aber zentrale Frage, ob mit Hilfe der Telemetrietechnik die Dokumentation des Trennungsverhaltens in zeitlich und räumlich ausreichender Zuverlässigkeit gelingt. Die übliche GPS-gestützte Sendertechnik wird daher bei dem Test um sogenannte „Seperationssender“ erweitert, um das Überschreiten einer bestimmten Distanz zwischen Mutter- und Jungtier registrieren zu können. Sollte das Fang- und Besenderungsvorhaben gelingen und die Technik die erhofften Ergebnisse liefern, könnten weitergehende Untersuchungen im realen Jagdbetrieb, z.B. bei einer Bewegungsjagd, durchgeführt werden.
Als Untersuchungsgebiet soll der Hunsrücker Hochwald dienen, wo die FAWF bereits in den vergangenen Jahren mehrfach Studien zum Rotwild und dessen Populationsdichte durchgeführt hat. Auf dem Gebiet des heutigen Nationalparks sollen Fanganlagen errichtet und das benachbarte Wildgehege soll für Gehegeversuche genutzt werden. Zudem besteht mit dem Nationalparkpersonal im Bereich des Wildtiermanagements eine gute Kooperationsmöglichkeit und Projektunterstützung vor Ort, gerade auch zur Errichtung der Fanganlagen. Es ist geplant, insgesamt möglichst bis zu 20 Tiere für die Tests zu besendern. Die Kosten werden aus Mitteln der Jagdabgabe bestritten. Die Jägerschaft der Region wird über das Vorhaben explizit informiert und gebeten, evtl. in den angrenzenden Jagdbezirken auftauchendes, besendertes Rotwild unbedingt zu schonen. Die Tiere sollten an den Halsbändern und den daran angebrachten Sendern eindeutig zu erkennen sein. Da insbesondere der geplante paarweise Fang von Mutter- und Jungtieren einen hohen Aufwand darstellt, wäre ein versehentlicher Abschuss dieser Tiere besonders bedauerlich.
Erste Ergebnisse
Zum Wissensstand einer besonderen Beziehung
von Dr. Ulf Hohmann
Nach § 22 Abs. 4 Satz 1 (BJagdG) dürfen in den Setz- und Brutzeiten bis zum Selbständigwerden der Jungtiere die für die Aufzucht notwendigen Elterntiere, auch die von Wild ohne Schonzeit, nicht bejagt werden. Schlüsselbegriffe wie „Selbstständigwerden“ oder zu „Aufzucht notwendig“ sind jedoch leider nicht näher bestimmt worden. Dies gab und gibt Anlass zu Spekulationen.
Für hoch entwickelte Säugetiere wie dem Rotwild geht die Aufzuchtsphase über die Säugephase hinaus. Aber wann hört die Aufzuchtsphase bzw. die Zeit der Unselbständigkeit auf? Ist dies ab November der Fall oder dauert sie bis zur neuen Setzperiode an? Von zentraler Bedeutung ist hier die Frage, welchen Einfluss die soziale Fürsorge durch das Muttertier auf das Überleben des Kalbs nach der Entwöhnung hat.
Oft wird in diesem Zusammenhang behauptet, das Verhalten des Rotwildes sei dazu hinreichend untersucht. Doch belastbare Daten, Belege und Zitate findet man selten. In der Tat sind wissenschaftliche Studien, die sich speziell mit der Alttier-Kalb-Beziehung und insbesondere mit dem Effekt einer Verwaisung auf das Kalb beschäftigen insbesondere beim Rotwild kaum zu finden.
Eine Ausnahme ist die Insel Rum bei Schottland, wo tatsächlich solchen Untersuchung durchgeführt wurden (ANDRES ET AL. (2013) Behavioral Ecology and Sociobiology, Volume 67, Issue 8, 1249-1258). Dabei stellte man fest, dass insbesondere Hirschkälber bei Tod des Alttieres ein besonders erhöhtes Sterberisiko durch Kümmern und Hungertod ausgesetzt sind als Wildkälber. Doch in Rum ist das Klima rau und der Hungertod ist Haupttodesursache. Eine Situation ganz anders als in Mitteleuropa. Forschungsdarf ist also gegeben. FAWF Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz
Telemetrische Untersuchungen zum Trennungsverhalten von Alttier und Kalb bei Rotwild– eine individual-basierte Pilotstudie
von Ulf Hettich und Dr. Ulf Hohmann
Hintergrund
Es gilt als ein möglicher Vorteil von Bewegungsjagden, bei einer geringen Anzahl von Störungsereignissen einen hohen Anteil der jährlichen Strecke zu erzielen. Tierschutzrechtlichen wie auch jagdethischen Belangen ist dabei ebenso Rechnung zu tragen wie bei der Einzeljagd. Insbesondere Bewegungsjagden bieten für den Kahlwildabschuss ein wichtiges Potenzial, das insbesondere dann ausgeschöpft werden kann, wenn auch einzelne, nichtführende Alttiere bejagt werden. Ein sicheres Ansprechen nichtführender Alttiere ist jedoch häufig nicht möglich. Bei der Freigabe einzelner Alttiere auf herbstlichen Drückjagden ist deshalb insbesondere das Verwaisungsrisiko von Kälbern zu berücksichtigen. Das “Sprengen“ vorhandener Rotwildrudel bei einer Drückjagd kann zwar im Sinne des Abschusserfolges durchaus erwünscht sein, im Sinne einer möglichen Trennungsgefahr von AlttierKalb-Paaren birgt es jedoch für Kälber die Gefahr, vom Muttertier getrennt zu werden und damit eher zu verwaisen, sofern einzelne Alttiere bei der Drückjagd erlegt werden sollen.
Studie zum Störungs- und Trennungsverhalten von Alttier und Kalb
Es besteht daher ein hohes jagdpraktisches Interesse, die Reaktion von Rotwild auf jagdliche Störungen insbesondere das Trennungsverhalten von Alttier-Kalb-Paaren genauer zu untersuchen. Die nach wie vor hier klaffende Wissenslücke ist vorrangig auf methodische Probleme bei derartigen Untersuchungen zurückzuführen. Im Rahmen der Studie wurden im Nationalpark Hunsrück-Hochwald im Herbst 2017 6 Tiere besendert, davon zwei Alttier-Kalb-Paare sowie ein seit Oktober 2017 verwaistes Kalb. Die jeweilige Mutterschaft der Alttiere sowie die Verwaisung des dritten Kalbes konnten genetisch verifiziert werden. Die Tiere wurden zwischen November 2017 und Januar 2018 an insgesamt 4 Tagen gezielt gestört, dabei wurden z.T. Treiber und laut jagende Hunde verschiedener Größe eingesetzt. Mithilfe der gesammelten GPS-Daten wurde das Trennungsverhalten der Alttier-Kalb Paare untersucht.
Erste Ergebnisse der Fallstudien
Aufgrund der noch geringen Individuenanzahl (2 Alttier-Kalb-Paare in 2017) handelt es sich um Fallstudien, die keine statistischen Aussagen zulassen und somit keine zu verallgemeinernde Regelhaftigkeit beschreiben. Erste Auswertungen der GPS-Daten der beiden Alttier-Kalb-Paare zeigen, dass störungsinduzierte, räumliche Trennungen von Alttier und Kalb stattfanden. Auch außerhalb der Störereignisse fanden Trennungen über Distanzen von >500 m statt, die teilweise mehrere Stunden andauerten. Die GPS-Daten des verwaisten Hirschkalbes indizieren einen sehr engen Anschluss des Kalbes an ein führendes Alttier und dessen Akzeptanz als „Adoptivkalb“.
Projektteam
Ulf Hettich und Dr. Ulf Hohmann ( Ulf.Hettich@wald-rlp.de & Ulf.Hohmann@wald-rlp.de )
Forschungsgruppe Wildökologie Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft
Hauptstraße 16
D-67705 Trippstadt
Tel.: 06306 911-167 oder -148
https://www.fawf.wald-rlp.de