Tierschutz bei der Rotwildreduktion
Vom 28. bis 30. Juni 2018 fand in Bad Driburg das 9. Rotwildsymposium der Deutschen Wildtier Stiftung zu dem Thema „Der Rothirsch in der Überzahl – Wege zu einer tierschutzgerechten Rotwildreduktion“ statt. Ziel des dreitägigen Symposiums war, die besonderen Maßnahmen, die in zeitlich befristeten Reduktionsprojekten ergriffen werden sollten, herauszuarbeiten. In der „Bad Driburger Erklärung“, dem Abschlusspapier des 9. Rotwildsymposiums, sind die Rahmenbedingungen und jagdpraktischen Empfehlungen für eine wirkungsvolle Rotwildreduktion unter Berücksichtigung des Tierschutzes formuliert. Im Mittelpunkt steht dabei der Anspruch, dass Rotwildreduktion niemals Dauerzustand sein darf, sondern als ein zeitlich und räumlich begrenztes Projekt verstanden werden muss.
Bad Driburger Erklärung
Empfehlungen zur Reduktion von Rotwildbeständen unter Einhaltung des Tierschutzes
aus Anlass des 9. Rotwildsymposiums der Deutschen Wildtier Stiftung (2018)
Präambel
Die Verbreitung des Rotwildes in Deutschland ist sehr verschieden: Auf etwa der Hälfte der Fläche darf der Rothirsch per Gesetz nicht leben. In einem weiteren Viertel kommt er aufgrund ungünstiger Lebensraumbedingungen nicht vor. In manchen seiner Vorkommensgebiete ist der Bestand so stark reduziert, dass die Art keine Rudel mehr bilden und damit nicht ihrer Biologie entsprechend leben kann. Hier muss die Population wieder wachsen. In anderen Verbreitungsgebieten ist die Dichte auf großer Fläche aber auch sehr hoch. Sehr hohe Rotwilddichten können regional, z.B. in Großschutzgebieten oder auf Truppenübungsplätzen, toleriert oder sogar erwünscht sein und müssen auch in der Normallandschaft nicht unausweichlich zu untragbaren Schäden in der Land- und Forstwirtschaft führen. Dennoch ist die Gefahr groß, dass sehr hohe Rotwilddichten in unserer Normallandschaft nicht mit den berechtigten Interessen der Landnutzer zu vereinbaren sind. In diesem Fall müssen Rotwildbestände reduziert werden.
Rotwildpopulationen tierschutzgerecht zu reduzieren ist eine viel anspruchsvollere Aufgabe als die normale Jagd, bei der Wildtierbestände nachhaltig genutzt werden. Denn das tierschutzgerechte Erlegen von erwachsenen weiblichen Individuen ist beim Rotwild aufgrund der engen und langen Bindung zwischen Alttier und Kalb deutlich schwieriger als bei anderen Schalenwildarten. Darüber hinaus muss auch während der Reduktion des Wildbestandes die Sichtbarkeit und damit die Bejagbarkeit des störungsempfindlichen Rotwildes erhalten bleiben. Unter diesen Prämissen wird eine Reduktion des Rotwildbestandes nicht erfolgreich sein, wenn die bisherige Jagdpraxis einfach nur intensiviert oder Jagdzeiten verlängert oder gar die Nachtjagd zugelassen werden. Es braucht vielmehr besonderer Methoden und Jagdstrategien, um Rotwildbestände tierschutzgerecht zu reduzieren.
Eine wirkungsvolle und dabei tierschutzgerechte Rotwildreduktion darf nie Dauerzustand sein, sondern muss als ein zeitlich und räumlich begrenztes Projekt verstanden werden. In diesem Reduktionsprojekt müssen alle Prinzipien für einen waidgerechten und damit fairen und verantwortungsvollen Umgang mit Rotwild weiterhin gelten. Dazu gehören neben den im Bundesjagdgesetz formulierten Tierschutzaspekten, u.a. zum Muttertierschutz und dem Verbot der Hetzjagd (§§ 19, 22 BJagdG), auch der Verzicht auf die Nachtjagd, die Einrichtung und Beibehaltung von Wildruhezonen und ein Jagdzeitende am 31.12. eines jeden Jahres.
Rahmenbedingungen für ein Reduktionsprojekt
Die Reduktion von Rotwildpopulationen ist niemals Selbstzweck und niemals ein Automatismus als Folge von hohen Schäden durch Rotwild. Sie ist einer von mehreren und immer der als Letztes zu verfolgende Lösungsweg. Ein Reduktionsprojekt folgt einem abgestimmten Projektplan und gelingt vor allem in kompetenten und durchsetzungsfähigen Hegegemeinschaften. Diese sollten eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sein. Je nach Ausgangspopulation sollte das Reduktionsprojekt in der Regel nicht länger als fünf Jahre dauern.
Voraussetzungen für ein erfolgreiches Reduktionsprojekt sind
- die möglichst genaue Kenntnis von Umfang sowie Alters- und Sozialstruktur der Population auf Grundlage anerkannter Methoden,
- die möglichst genaue Kenntnis und Beschreibung von Ausmaß und räumlicher Verteilung des Konfliktes,
- der Konsens von Grundeigentümern, Bewirtschaftern und Jagdausübungsberechtigten über das zu tolerierende Maß des Wildeinflusses in Wald und Feldflur und das Ausmaß der Bestandesreduktion,
- das Erarbeiten eines Projektplanes, ggf. unter Einbindung externer, professioneller Berater, in dem das Projektgebiet, die Laufzeit, begleitende Maßnahmen und Indikatoren für den Projekterfolg definiert werden,
- vorhergehende intensive Bemühungen zur Konfliktlösung durch Grundeigentümer, Bewirtschafter und Jagdausübungsberechtigte u.a. durch veränderte Jagdstrategien, Lebensraumverbesserungen und waldbauliche sowie landwirtschaftliche Maßnahmen,
- die Umsetzung des Reduktionsprojektes bevorzugt in den Konfliktschwerpunkten,
- ein Endbestand, der in seinem Umfang und seiner Alters- und Sozialstruktur die Rudelbildung zulässt und
- die regelmäßige Evaluierung der Konfliktsituation und des Populationszustandes während des Reduktionsprojektes.
Empfehlungen für die Jagdpraxis in einem Reduktionsprojekt
Höhe und Struktur der Jagdstrecke
Rotwild wird reduziert, indem die getätigten Abschüsse deutlich über dem Zuwachs liegen. Nachhaltig werden Rotwildbestände aber erst reduziert, wenn der Anteil an Zuwachsträgern innerhalb der Population sinkt. Das tierschutzgerechte Erlegen von Alttieren ist daher das wichtigste und wirkungsvollste Instrument in Reduktionsprojekten.
Merkmale eines wirkungsvollen und gleichzeitig tierschutzgerechten Reduktionsprojektes sind
- der körperliche Nachweis aller erlegten Individuen,
- ein Gesamtabschuss, der 10 bis 25 % über dem erwarteten Zuwachs liegt,
- ein Anteil von maximal 40 % männlichen Wildes am Gesamtabschuss,
- ein Streckenverhältnis von Alttieren zu Kälbern, das tierschutzgerecht – und damit immer nach dem Prinzip „erst das Kalb und dann das dazu gehörende Alttier“ – zu realisieren ist und durch das gleichzeitig ausreichend Zuwachsträger aus der Population entnommen werden (Streckenverhältnis 1:1,5 bis 1:2),
- ein Verhältnis von nahezu gleich vielen erlegten Alt- und Schmaltieren im Vergleich zu den erlegten Kälbern.
Jagdstrategien während eines Reduktionsprojektes
Die tierschutzgerechte Reduktion von Rotwild in einem begrenzten Zeitraum erfordert Einsatz, Disziplin und handwerkliches Können, um eine hohe Gesamtstrecke und die angestrebte Streckenstruktur zu erreichen. Wesentliches Element von Reduktionsprojekten ist die Einzeljagd auf weibliches Wild im Spätsommer.
Instrumente und Merkmale der Einzeljagd während eines tierschutzgerechten Reduktionsprojektes sind
- die intensive Kahlwildjagd im August zum Erlegen von Kalb-Alttier-Dubletten mit erfahrenen und qualifizierten Jägern,
- die Kahlwildjagd in der Brunft abseits der Brunftplätze,
- die Frühsommerjagd auf Schmaltiere und -spießer mit erfahrenen und qualifizierten Jägern,
- der Verzicht auf das Erlegen von Schmalspießern und jungen Hirschen aus gemischten Rudeln zu Gunsten von Kälbern und Schmaltieren,
- der Anspruch, beim Kälberabschuss in geeigneten Situationen möglichst weibliche Kälber aus einem Rudel zu erlegen,
- im Fall einer unzureichenden Abschusshöhe bei den Alttieren die gezielte Anrührjagd auf nicht-führende Alttiere mit erfahrenen und qualifizierten Jägern kurz vor dem Ende der Jagdzeit und
- die Einrichtung und das Respektieren von Wildruhezonen, um die Sicht- und damit auch die Bejagbarkeit des Rotwildes zu unterstützen.
Die Merkmale der Bewegungsjagd während eines tierschutzgerechten Reduktionsprojekts sind
- die Konzentration auf den Kälberabschuss,
- die ausschließliche Freigabe von Alttieren erst nach Erlegen des sicher zum Alttier gehörenden Kalbes,
- die ausschließliche Freigabe von einzeln ziehenden Schmalspießern und jungen Hirschen auf Bewegungsjagden,
- die ständige Evaluierung von Organisation und Ablauf der Bewegungsjagd u.a. durch Vergabe und Auswertung von Standkarten und
- die regelmäßige Veränderung von Jagdablauf und Schützenständen, um Erfahrungs- und Traditionsbildung beim Rotwild zu vermeiden.