Beweidung durch Rotwild erhöht Pflanzendiversität im Offenland
Forscher der Universität Göttingen konnten nachweisen, dass die Beweidung durch Rotwild günstige Auswirkungen auf unterschiedliche Offenlandlebensräume mit sich bringt. In eingezäunten Flächen war die Pflanzendiversität im Grünland nach drei Jahren fehlender Rothirschbeweidung signifikant zurückgegangen. Die Ergebnisse aus einem dreijährigen Ausschlussexperiment zeigen, dass Wildtierbeweidung eine effektive und praktikable Naturschutzmaßname in Gebieten mit eingeschränkten Zugangsmöglichkeiten sein kann.
Beweidung durch große Pflanzenfresser
Viele Pflanzen- und Tierarten sind an naturnahe Offenlandschaften gebunden, die durch traditionelle landwirtschaftliche Nutzungsformen während der vergangenen Jahrhunderte entstanden sind. Diese zum Teil besonders artenreichen Lebensräume zu erhalten, ist eine große Herausforderung für den Naturschutz. Um dem anhaltenden Rückgang extensiv bewirtschafteter und naturnaher Offenlandlebensräume und den dort vorkommenden Arten entgegenzuwirken, muss auf geeigneten Flächen ein Naturschutzmanagement betrieben werden. Als ein sehr erfolgreiches Managementinstrument im Naturschutz hat sich die Beweidung mit robusten Nutztierrassen erwiesen. Große Pflanzenfresser wie etwa Rinder oder Schafe können die Vegetationsstruktur und die Diversität der Pflanzengesellschaften im Offenland durch Tritt, Verbiss und Samenverbreitung positiv beeinflussen. Allerdings lässt sich eine Beweidung mit Nutztieren nicht in Gebieten umsetzen, die Zugangsbeschränkungen unterliegen. Aus diesem Grund sollte in einer Studie der Abteilung Graslandwissenschaft der Universität Göttingen untersucht werden, ob auch wildlebende Pflanzenfresser zum Erhalt charakteristischer Offenlandgesellschaften beitragen können. Der Truppenübungsplatz Grafenwöhr bot dafür beste Bedingungen.
Um festzustellen, welchen Einfluss die Rothirsche auf die Vegetation haben, wurden in Mageren Flachlandmähwiesen und Trockenen Europäischen Heiden (FFH-Lebensraumtypen 6510 und 4030) 15 bzw. acht Ausschlusszäune aufgestellt. Gleichzeitig wurden offene, für das Rotwild durchgängig frei zugängliche Aufnahmeflächen ausgewiesen. Über einen Zeitraum von drei Jahren wurde die Höhe von Vegetation und Streuschicht gemessen, der Deckungsanteil von Offenboden und der Ertragsanteil der Besenheide geschätzt und die Individuenzahl verholzender Pflanzen gezählt. Außerdem wurde die Diversität und Zusammensetzung der Pflanzengemeinschaften vor Beginn des Experiments im Jahr 2014 und nach drei Jahren Rothirschausschluss im Jahr 2018 verglichen.
Auswirkungen der Rotwildbeweidung
In den eingezäunten Flächen war die Pflanzendiversität im Grünland nach drei Jahren fehlender Rotwildbeweidung signifikant zurückgegangen. Es wurde sowohl in den Wiesen als auch in den Heiden eine veränderte Zusammensetzung der Pflanzengesellschaften sowie eine Zunahme der Höhe von Vegetation und Streuschicht nachgewiesen. Außerdem ging in den Heiden innerhalb der Zäune der Anteil offenen Bodens zurück, während die Anzahl an Gehölzen stark zunahm. Diese Veränderungen in den eingezäunten Flächen deuten auf eine beginnende Entwicklung zu einer eher geschlossenen Strauch- oder Waldvegetation hin. Damit wurde der naturschutzfachliche Wert der Offenlandlebensraumtypen in den von der Rotwildbeweidung ausgeschlossenen Flächen gemindert.
Neben den generellen Auswirkungen der Rothirschbeweidung auf die Vegetation wurde auch untersucht, ob und wie sich die Intensität der Beweidung beeinflussen lässt. Rotwild bevorzugt frische Vegetation, welche beispielsweise wieder aufwächst, nachdem Biomasse etwa durch Brennen oder Mähen entfernt wurde. Vor diesem Hintergrund wurden in den Wiesen Brand und Mahd als zusätzliche Pflegemaßnahmen mit einbezogen. Je fünf der Paare aus offener und eingezäunter Aufnahmefläche wurden einmal jährlich gebrannt bzw. gemäht, die restlichen fünf verblieben ungepflegt. Die Untersuchungsergebnisse zeigten, dass die stärksten Unterschiede in der Vegetationsstruktur und –diversität zwischen eingezäunten und kontinuierlich beweideten Flächen in den gemähten Wiesen auftraten. Mit Hilfe von Wildkameras konnte nachgewiesen werden, dass sich die Rothirsche tatsächlich mehr auf den gemähten als auf anderen Flächen aufhielten. Daher scheint es möglich zu sein, die Habitatnutzung von Rothirschen durch das Mähen ausgewählter Flächen zu beeinflussen.
Insgesamt konnte die Studie nachweisen, dass die Beweidung wildlebender Rothirsche günstige Auswirkungen auf unterschiedliche geschützte Offenlandlebensräume mit sich bringt. Wildtierbeweidung erscheint daher als eine effektive und praktikable Naturschutzmaßname, die insbesondere für große Gebiete mit eingeschränkten Zugangsmöglichkeiten geeignet ist.
Zu der vollständigen Studie gelangen Sie hier: