Baden-Badener Erklärung

zum Umgang mit Huftieren in Großschutzgebieten

anlässlich des 8. Rotwildsymposiums
der Deutschen Wildtier Stiftung (2016)

GROßSCHUTZGEBIETE IN DEUTSCHLAND

Große, wild lebende Huftiere wie der Rothirsch lösen in unserer Kulturlandschaft viele Konflikte aus. Aus dem Offenland zurückgedrängt in Waldlebensräume spielen der Einfluss der Huftiere auf die Waldvegetation und das damit verbundene Risiko für die Forstwirtschaft die bedeutendste Rolle. In der intensiv genutzten Kulturlandschaft, oder der „Normallandschaft“, gilt es, eine Balance zwischen den Bedürfnissen der Wildtiere und den wirtschaftlichen Interessen des Menschen zu finden. Dabei können die natürlichen Verhaltensweisen der Wildtiere und ihre vielfältige Schlüsselfunktion für natürliche Prozesse meistens nur in einem kleinen Umfang berücksichtigt werden. Trotzdem muss in der Normallandschaft der jagdliche Umgang mit Rotwild verbessert werden: Jagdzeiten sind zu verkürzen, Wildruhezonen auszuweisen und Nachtjagdverbote konsequent einzuhalten.

Im Gegensatz zur Normallandschaft stehen in unseren Großschutzgebieten die Ziele des Na-tur-, Arten- und Prozessschutzes und die Förderung nachhaltiger Nutzungsformen im Mittelpunkt. Unter dem Begriff der Großschutzgebiete werden wegen ihrer flächenhaften Ausdehnung Nationalparke, Biosphärenreservate und Naturparke verstanden. Sie umfassen Gebiete zwischen 3.000 Hektar und fast 400.000 Hektar. Zusätzlich werden im Folgenden auch die Gebiete des Nationalen Naturerbes (NNE) darunter verstanden, die – zumindest wenn man sich dabei auf die ehemaligen Truppenübungsplätze konzentriert – oft mehrere tausend Hektar groß sein können.

Die Schutzziele der genannten Gebietskategorien sind ebenso unterschiedlich wie die noch erlaubten Nutzungsmöglichkeiten des Menschen. Gerade die zum Teil riesigen westdeutschen Naturparke haben eine deutlich größere Bedeutung für die Belange des Tourismus als für den Naturschutz.

Die terrestrischen Nationalparke, Biosphärenreservate, Naturparke und NNE-Gebiete umfassen zurzeit rund 11,5 Mio. Hektar und damit fast ein Drittel der Landesfläche Deutschlands. Damit haben Großschutzgebiete eine Flächenausdehnung, die die Chance bietet, anders mit Rothirsch & Co. umzugehen als dies in der Normallandschaft der Fall sein kann.

GROßSCHUTZGEBIETE UND DER ROTHIRSCH

Rotwild und andere wildlebende Huftiere haben einen ökologischen Zweck und sind der Schlüssel für viele ökologische Prozesse. Beweidung und Tritt, Samenverbreitung und Verwesung fördern völlig unterschiedliche Tier- und Pflanzenarten und Artgemeinschaften und tragen in ihrer Gesamtheit zu einem heterogenen und damit artenreichen Ökosystem bei. Der Umgang mit Huftieren muss daher vor allem dort neu bewertet werden, wo ein ernstgenommener Prozessschutz alle anderen Ziele und menschlichen Eingriffe ausschließt.

Auf Prozessschutzflächen muss der Einfluss von Rothirsch & Co. auf ihren Lebensraum als ein natürlicher Prozess begriffen, unterstützt und geschützt werden.

Deshalb

  • sollte auf Prozessschutzflächen die Jagd ruhen.
  • sollten Prozessschutzflächen innerhalb eines Großschutzgebiets von einer Pufferzone umgeben sein.
  • sollte die Reduktion und Nutzung von Schalenwild durch Jagd innerhalb des Großschutzgebietes in der Pufferzone und außerhalb im Randbereich der Normallandschaft konzentriert werden.
  • sollte ein Biodiversitäts-Monitoring auf Prozessschutzflächen und ein Wildeinfluss-Monitoring im Randbereich der Normallandschaft eingerichtet werden.
  • sollten Gremien etabliert werden, in denen die Großschutzgebiete mit den Interessenvertretern aus Jagd, Land- und Forstwirtschaft der angrenzenden Flächen gemeinsam mögliche Konflikte lösen.

In den Großschutzgebieten sollte auch außerhalb der Prozessschutzflächen den Bedürfnissen und Funktionen der Wildtiere eine höhere Bedeutung als in der Normallandschaft eingeräumt werden. Dies gilt insbesondere für die Biosphärenreservate, deren Ziele einer nachhaltigen Entwicklung und Ressourcennutzung auch mit Blick auf die Jagd gelten sollten. Auch Natur-parke – insbesondere in ihrer ostdeutschen Ausprägung – bieten großen, wild lebenden Huftieren Chancen.

In Großschutzgebieten müssen auch außerhalb der Prozessschutzflächen die natürlichen Verhaltensweisen von Rothirsch & Co. als Schutzziel berücksichtigt und entsprechend gefördert werden.

Deshalb

  • sollten Großschutzgebiete außerhalb der Prozessschutzflächen bei der Jagd eine Vorreiterrolle übernehmen und Jagdzeiten verkürzen, Jagdruhezonen ausweisen und natürliche Verhaltensweisen des Wildes wie z.B. Rudelbildung akzeptieren.
  • sollten Großschutzgebiete, die per Verordnung in rotwildfreien Gebieten liegen, neue Rotwildlebensräume werden.
  • sollten in Großschutzgebieten außerhalb der Prozessschutzflächen Wildtiere im Sinne der Regionalentwicklung für Naturfreunde erlebbar werden.

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Baden-Badener Erklärung zum Umgang mit Huftieren in Großschutzgebieten

ÖkoArtCervus

Die Deutsche Wildtier Stiftung hat aus Anlass ihres 8. Rotwildsymposiums in Baden-Baden im Jahr 2016 eine Literaturzusammenfassung zur ökologischen Funktion des Rothirsches veröffentlicht. Die Studie mit dem Titel „ÖkoArtCervus“ gibt einen Überblick über die komplexen ökologischen Zusammenhängen von Rotwild und anderen Huftieren und ihrer Umwelt und beschreibt ihren Nutzen für Artenvielfalt und ökologische Prozesse.

Aus ökologischer Sicht verursachen Huftiere keine Schäden, sondern Störungen. Beweidung und Tritt durch Rothirsche und andere Huftiere sind Störungen, die sehr häufig Ausgangspunkt für besonderen Artenreichtum und Biologische Vielfalt sind. Ein wichtiger Bestandteil ökosystemarer Prozesse ist außerdem die Zersetzung und der Abbau von tierischen Abfallprodukten – also von Aas und Kot. Neben diesen Themen beschreibt die Broschüre den erheblichen Effekt, den Huftiere durch die sogenannten Zoochorie auslösen, also durch die Verbreitung von Samen in Fell (Epizoochorie) und mit dem Kot (Endozoochorie).

Inhalt

1 Schaden und Nutzen – eine Einleitung
2 Beweidung: Baumaßnahme des Artenreichtums
   2.1 Einfluss von Beweidung auf Vegetationsgesellschaften
   2.2 Einfluss von Beweidung auf die Fauna
3 Mit Schalen und Hufen: Vielfalt durch Störung
4 Zoochorie: Die Spediteure der Artenvielfalt
5 Aas und Kot: Orte voller Leben
6 Fazit

Literatur

Die in der Broschüre „ÖkoArtCervus“ verwendete Literatur finden Sie hier.

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