11. Rotwildsymposium: Naturnahe Lebensräume beugen Nahrungsengpässen vor
Zum Leben vieler Wildtierarten gehören neben Paarungszeiten und Wochen oder Monaten der Jungenaufzucht auch Zeiten mit Nahrungsengpässen. Um solche sogenannten Notzeiten zu überwinden, haben Rothirsche in der Evolution unterschiedliche Strategien entwickelt: In unseren Breiten führt die Veränderung der Tageslänge zu Verhaltensänderungen und physiologischen Anpassungen. Bei hohen Schneelagen im Gebirge wandern Rothirsche üblicherweise in tieferliegende Lebensräume. Pansen, Leber und andere Organe verkleinern sich und der Stoffwechsel ist reduziert. Aber hat die Evolution den Rothirsch auch auf sommerliche Notzeiten durch langanhaltende Dürrephasen vorbereitet? Dieser Frage wurde auf dem 11. Rotwildsymposium der Deutschen Wildtier Stiftung nachgegangen, das die Stiftung vom 23. bis 25. Mai gemeinsam mit dem Tiroler Jägerverband in der Nähe von Innsbruck veranstaltet hat.
„Der Klimawandel führt zu trockeneren Sommern. Bei Dürre müssen wir daher zukünftig auch in den Zeiten, in denen Rothirsche Energiereserven für Brunft und Winter aufbauen, mit Nahrungsengpässen rechnen“, stellte Professor Dr. Klaus Hackländer, Wildtierbiologe und Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung, auf dem Rotwildsymposium fest. In naturnahen Lebensräumen ziehen sich Rothirsche in solchen Situationen in kühle und möglichst wassernahe Gebiete zurück und bewegen sich wenig, um Energie zu sparen. In unserer dicht besiedelten Kulturlandschaft funktioniert diese Strategie wegen mangelnder Lebensraumqualität oder Störungen durch Menschen jedoch nicht. Mehrere Referenten des 11. Rotwildsymposiums konnten zeigen, dass Störungen durch Jäger und Waldbesucher zu akutem Stress bei einzelnen Individuen und zu chronischem Stress bei ganzen Populationen führen können. „Um Rothirsche konfliktarm in unsere Kulturlandschaft zu integrieren, müssen wir ihnen Räume anbieten, in denen sie möglichst ungestört von uns Menschen die Wochen der Nahrungsknappheit überstehen können“, so Hackländer. Dabei hilft auch eine verbindliche Jagdruhe auf wiederkäuende Huftiere im Sommer, wie sie zum Beispiel kürzlich in Brandenburg durchgesetzt werden konnte. Ein wichtiges Instrument des Wildtiermanagements stellt außerdem die Wildökologische Raumplanung dar, die zum Ziel hat, die Ansprüche von Wildtieren und Menschen in Einklang zu bringen.
Doch auch der Verlust natürlicher Lebensraumkomponenten trägt zur Verschärfung von Notzeiten bei. Die Deutsche Wildtier Stiftung zeigte auf dem Symposium, dass Nebenbaumarten wie Zitterpappeln und Weiden seit vielen Jahrzehnten gezielt aus unseren Wäldern verdrängt wurden. Ihr Anteil an der Baumvegetation beträgt deutschlandweit kaum mehr als ein Prozent. Die Triebe dieser sogenannten Weichhölzer bieten aber nicht nur im Winter, sondern auch bei Nahrungsengpässen im Sommer wertvolle Futter-Alternativen für Rothirsche. Die Deutsche Wildtier Stiftung fordert daher, dass diese ökologisch wertvollen Nebenbaumarten zukünftig durch waldbauliche Maßnahmen wieder stärker gefördert bzw. sogar neu etabliert werden. Darüber hinaus kritisierte die Stiftung die anhaltende Entwässerung von Wäldern. „Umfangreiche Grabennetze lassen eigentlich wasserreiche Lebensräume schnell austrocknen. Sie stehen Rothirschen und anderen Huftieren daher nicht mehr als kühle Rückzugsräume in Hitzeperioden zur Verfügung,“ sagte Hackländer. Die Deutsche Wildtier Stiftung fordert, in möglichst vielen geeigneten Waldbereichen die Entwässerung zu stoppen. Dies ist auch zum Vorteil der Waldbesitzer, da in Dürreperioden auch die Bäume unter Trockenstress leiden.